Am Ende steht der Anfang

Die Lebensmittelkühlung war und ist bis heute Vorreiter für den Einsatz natürlicher Kältemittel. Man verwendete Eis und Schnee, um in den Berglandschaften Mitteleuropas Lebensmittel zu lagern. Eine Methode, die sich bis ins 20. Jahrhundert hielt

Dipl.-Ing. Achim Frommann
Dipl.-Ing. Achim Frommann

Bereits im 18. Jahrhundert begann erst in Nordamerika und später auch in Europa der Natureishandel. Daran hing fast 100 Jahre lang eine große Industrie. Der Transport des „weißen Goldes“ erfolgte über Handelsrouten in aller Herren Länder und bedeutete enormen Fortschritt. Denn der Abbau und die vielfältige Anwendung dieses ersten natürlichen Kältemittels bescherten Arbeit, ganzjährige Versorgung mit frischen Lebensmitteln und kontinuierliche Herstellungsprozesse in Brauereien oder der Fleischverarbeitung.

Erst die Industrialisierung im 19. Jahrhundert machte die mechanische Erzeugung von Eis und später von Kälteenergie mit Kältemitteln wie Ethylether, Ammoniak, CO2 oder SO2 ortsunabhängig und schlussendlich den Eishandel überflüssig. Dann kam es jedoch durch undichte Kühlschränke und Klimaanlagen zu tödlichen Unfällen, was das US-Unternehmen General Motors 1928 zur Entwicklung des ersten FCKW-Kältemittels veranlasste. Lange als sicher geltend, stellte sich rund 50 Jahre später deren Ozonzerstörungspotenzial und Beitrag zum Treibhauseffekt heraus.

Heute existiert mit den HFOs bereits die vierte Generation synthetisch erzeugter Kältemittel. Keine konnte bislang ein ideales Ergebnis liefern. Hinzu kommt, dass die synthetischen Stoffe den natürlichen immer ähnlicher werden. Die Gewerbekälte hat sich auf ihre Wurzeln zurückbesonnen und arbeitet heute bei Neuanlagen ausschließlich mit den natürlichen Kältemitteln CO2 und Kohlenwasserstoffe.

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Für unsere Gesellschaft und den globalen Warenhandel ist die gewerbliche Kühlung unverzichtbar. Denn sie ist die einzige Konservierungsmethode, die von der Erzeugung bis zum Point of Sale die Produktfrische bewahrt. Das Augenmerk des Einzelhandels liegt heute auf nachhaltigen und effizienten Kühlmethoden – zum Schutz des Erdklimas und für einen verbrauchsarmen, kostengünstigen und langfristigen Anlagenbetrieb.

Handelskonzerne kamen bereits vor Jahren zu der Erkenntnis, dass man die politisch erwarteten CO2-Einsparpotenziale vor allem aus den Kältemitteln herausholen könne. Darum sind in Deutschland und in vielen weiteren europäischen Ländern für mittlere und große Märkte Verbundkälteanlagen auf Basis natürlicher Kältemittel zum Standard geworden. Vor allem Supermarkt- und SB-Warenhaus-Betreiber setzen auf transkritische CO2-Booster-Anlagen für die Tiefkühlung und für die Normalkühlung. Für eine weitere Energieeffizienzsteigerung kommt vermehrt die Ejektortechnik zum Einsatz. Damit arbeiten Anlagen bei höheren Umgebungstemperaturen effizienter. Eine Alternative dazu bietet BITZER mit dem neuen EXPANDER, der sich nicht nur für Neuanlagen, sondern auch für die Nachrüstung eignet. Ausgehend von 32°C Umgebungstemperatur kann damit die Kälteleistung einer Standard-Booster-Anlage im Auslegungspunkt um mehr als 20% verbessert werden.

Neben den großen Verbundsystemen bieten inzwischen eine Reihe von Herstellern auch kleine Verflüssigungssätze für CO2 an. So werden Kälteleistungsbereiche von 1 kW bis 10 kW für die Tiefkühlung und 2 kW bis 16 kW zur Normalkühlung mit nur einem luftgekühlten Gaskühler abgedeckt. Ähnlich einer Splitklimaanlage soll die Installation sehr einfach werden. Zielgruppen sind kleine Lebensmittelgeschäfte, Cash & Carry-Märkte, Tankstellenshops, Metzgereien sowie die Gastronomie und Hotellerie mit wenig Kühlstellen und Kühlräumen.

Als zweite Langzeitlösung sind heute Kohlenwasserstoffe im Einsatz. 1993 kamen die ersten in Serie gefertigten Isobutan-Kühlschränke auf den Markt. Es folgten steckerfertige Truhengeräte, Getränkekühler oder Stopfen- und Huckepackaggregate mit Propan. Inzwischen setzen Supermärkte und Discounter dieses brennbare Kältemittel in dezentralen Kältesystemen und neuen Kühlmöbeln für die Normalkühlung und in Kühlzellen ein. Dazu befindet sich der primäre Kältemittelkreislauf entweder an zentraler Stelle in einem Maschinenraum oder im Markt und im Kühlmöbel. Mittels Wärmeübertrager geschieht der Abtransport von Wärmeenergie über den Sekundärkreis – auch Waterloop genannt – an die Umgebung.

Beim Klimaschutz hat das Gewerbe eine Führungsrolle übernommen. Denn seit Jahren investieren europaweit tätige Händler eigeninitiativ in energiesparende Märkte und Filialsanierungen. Neben neuen verbraucherfreundlichen Ladenkonzepten geht es um die Reduzierung der Energieverbräuche für Licht, Wärme, Klima- und Kältetechnik. So liegt im filialisierten Lebensmittelhandel der Anteil der Energiekosten am Nettoumsatz bei 1,4%. Davon entfallen beim Stromverbrauch 47% auf die Kühlung – der mit Abstand größte Posten.

Einen Beitrag zur Verringerung des Energieverbrauchs liefert die beschriebene Umstellung auf moderne Kälteanlagen mit natürlichen Kältemitteln. Laut aktueller Befragung des EHI Retail Institute aus Köln haben in den vergangenen fünf Jahren 41% der Lebensmittelhändler jeweils mehr als 25 Millionen Euro in Energieeffizienzmaßnahmen investiert. Die Sanierungsquote liegt im Handel schon seit Jahren bei traumhaften 10% – ganz im Gegensatz zum Wohngebäudebestand mit nur 1%. Alles in allem trug die Gewerbekühlung seit 1990 mit 50% erheblich zu Einsparungen ihrer CO2-Emissionen bei und hat damit die von der Bundesregierung einst vorgegebenen Klimaschutzziele bis 2030 bereits übererfüllt. Seit 2013 wurden dafür nach Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) e. V. über 500 Millionen Euro investiert.

Energiemanagement ist in der Gewerbekühlung seit Jahren auch Teil der Nachhaltigkeitsstrategie und Investitionsplanung. Denn große Unternehmen müssen gemäß der seit März 2017 in nationales Recht überführten europäischen CSR-Richtlinie (2014/95/EU) Rechenschaft über ihr soziales und ökologisches Handeln ablegen. Betroffen sind alle kapitalmarkt-orientierten Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und deren Bilanzsumme entweder über 20 Millionen Euro beträgt oder deren Umsatzerlöse 40 Millionen Euro übersteigen. Laut EHI veröffentlichen im Lebensmittelhandel 60% der befragten Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht, der selbstverständlich auch Maßnahmen zur CO2-Minderung beinhaltet.

Die gewerbliche Kühlung schreitet in vielen europäischen Ländern also voran. Dabei fällt auf, dass sehr vorausschauend geplant wird. Die Metro AG hat Mitte 2013 den Ausstieg aus den F-Gasen beschlossen. Neu- und Umbauten werden seither mit natürlichen Kältemitteln ausgestattet, soweit technisch möglich. Inzwischen arbeiten europaweit über 170 Märkte mit CO2 zur Normal- und Tiefkühlung. Jüngstes Beispiel ist die Metro Cash & Carry Österreich GmbH. Ihr Pilotprojekt im österreichischen St. Pölten beinhaltet die Errichtung eines Nullemissionsgroßmarkts, bei dem größtenteils nachhaltige Materialien verwendet wurden. Der Großmarkt funktioniert ohne externe Wärmezufuhr und Klimaanlage mit einer Betonkernaktivierung und einem natürlichen Lüftungskonzept. Im Winter wird mit der Abwärme der transkritischen CO2-Kälteanlage plus Ejektor geheizt. Durch alle realisierten Maßnahmen liegt der Energiebedarf bei minimalen 115 kWh/m2 Verkaufsfläche.

Die REWE Group startete bereits 2008 ein Programm, um bis 2022 die gesamten CO2-Emissionen pro m² Verkaufsfläche gegenüber 2006 zu halbieren. Laut letztem Nachhaltigkeitsbericht 2017 waren bereits 40,3% geschafft. Im November 2009 öffnete das Handelsunternehmen in Berlin seinen bundesweit ersten CO2-neutralen Markt. Die Kälteanlagen nutzen für die Normal- und Tiefkühlung CO2 als Kältemittel, bei steckerfertigen Truhen Propan. Die zum Heizen benötigte Wärme wird aus dem CO2-Kühlprozess ausgekoppelt.

Noch einen Schritt weiter ging die Migros Ostschweiz 2017 mit ihrem ersten Plusenergiemarkt im schweizerischen Zuzwil. Das Ziel dieses Projekts war eine Filiale, die ihren eigenen Energiebedarf selbst decken kann. Das gelang durch ein Maßnahmenbündel, zu dem unter anderem die Abwärmenutzung der Kälteanlage und Kühlmöbel gehören, die bei einer gewünschten Warenraumtemperatur von +2°C bis +4°C die Verdampfungstemperatur auf konstant 0°C ohne Abtauung anheben. Der Markt ist Teil der internen Klima- und Energiestrategie 2020 von Migros, die eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20% sowie eine Reduktion des Stromverbrauchs um 10% bis zum Jahr 2020 vorsieht. Auch die Edeka-Handelsgruppe setzt als genossenschaftlich organisierter Handelskonzern in vielen Märkten auf das Kältemittel CO2. Unlängst wurde die Edeka-Regionalgesellschaft Minden-Hannover für den kombinierten Einsatz von einem modulierenden CO2-Ejektor und einer Kältemittelpumpe ausgezeichnet. Umgesetzt wurde das Projekt bei laufendem Betrieb in einem „Cash & Carry“-Markt in Soltau, wodurch dort der Energieverbrauch weiter reduziert und die Energieeffizienz gesteigert wurde.

Neben großen Supermarktbetreibern arbeiten auch Discounter mit natürlichen Kältemitteln. Aldi Süd hat bereits seit 2006 Verbundanlagen mit dem Kältemittel CO2 oder Propan bei Truhen im Programm. Aldi Nord testet Propan in Verbundanlagen mit Waterloop-System und Marktbegleiter Lidl startete bereits 2009 mit Propan in einem Integralsystem. Dabei befinden sich die Kälteaggregate entweder direkt in den vorgefertigten Kühlmöbeln oder sind als separate Verdampfereinheiten ausgeführt, die in Kühlzellen oder Kühlräumen eingesetzt werden.

Die gewerbliche Kühlung hat bei Kältemitteln also zu ihren natürlichen Ursprüngen zurückgefunden. Eine für die Zukunft sicher nachhaltige Entwicklung, die kaum treffender als mit diesem abschließenden Zitat zu beschreiben ist:

„Ein ideales Kältemittel, das alle erwähnten Forderungen erfüllt, ist bisher nicht gefunden worden und wird wahrscheinlich auch in Zukunft nicht zu finden sein. Man wird sich daher von Fall zu Fall damit begnügen müssen, die jeweils wichtigsten Anforderungen erfüllt zu sehen und sich mit den nicht erfüllbaren, so gut es geht, abzufinden.“

Es stammt aus einer der umfassendsten und bedeutendsten Schriftenreihen mit dem Titel „Handbuch der Kältetechnik“ von einem Pionier der Kältetechnik: Prof. Dr.-Ing. Rudolf Plank – geschrieben vor über 60 Jahren!

Autor: Dipl.-Ing. Achim Frommann