Herr Professor Doktor von Weizsäcker, weltweit bleiben viele Kraftwerke länger am Netz als ursprünglich geplant. Eines der Argumente ist, dass es notwendig sei, um den Energiebedarf zu decken.
Bei der heutigen Wirtschaft ist das rational, weil die heutige Wirtschaft äußerst ineffizient ist. Stellen Sie sich mal vor: Schon eine Viertelkilowattstunde reicht aus, um 10 kg Gewicht von der Höhe des Meeresspiegels auf den Mount Everest zu transportieren. Das Potenzial einer Kilowattstunde ist also gigantisch. Das Problem sind wir: Unsere Nutzungseleganz ist im Vergleich dazu ungeheuer schlecht. Das müssen wir verbessern.
Zur Person
Der 1939 in Zürich geborene Ernst Ulrich von Weizsäcker ist ein Naturwissenschaftler und deutscher Politiker, seit 2012 Co-Präsident des Club of Rome. Der promovierte Physiker war von 1998 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, leitete von 1984 bis 1991 als Direktor das Institut für Europäische Umweltpolitik, war von 1981 bis 1984 Direktor des Zentrums für Wissenschaft und Technologie der UNO in New York sowie von 1975 bis 1980 Präsident der Universität Kassel. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist sein Onkel.
Woran liegt es denn, dass wir dieses Potenzial nicht effizient nutzen?
Wir verschwenden Energie. Sie ist im Moment einfach zu billig. Wenn etwas billig ist, dann gehen wir achtlos damit um, weil uns der eigentliche Wert nicht mehr bewusst ist. Das sehen Sie zum Beispiel an den Preisen von Flugtickets. In dem Maße, wie diese in den vergangenen Jahrzehnten preiswerter geworden sind, ist die Zahl der Passagiere und die Frachtmenge gestiegen. Mal eben nach London zum Shoppen fliegen wurde bezahlbar – ökologisch ist das natürlich Wahnsinn.
Wie lässt sich unsere Nutzungseleganz konkret verbessern?
Ein wesentlicher Faktor ist der Preis. Es ist nicht schlimm, wenn Dinge teuer sind, solange der Preis adäquat ist. Wir sollten uns deshalb politisch einigen, Energie und Rohstoffe in kleinen Schritten kostbarer zu machen. Und zwar in der Geschwindigkeit, wie der technische Fortschritt die Produktivität steigert. Dann bleibt das, was man für Energie ausgibt, im Wesentlichen konstant. Für arme Haushalte ist ein Sozialtarif denkbar.
Viele Menschen sind da politisch skeptisch.
Die Preissteigerung muss natürlich moderat und für die Bürger sowie für die Industrie bezahlbar sein. Dann sind sie Teil der Lösung. In Schweden hat die Regierung beispielsweise eine hohe Luftschadstoffsteuer durchgesetzt. Die Unternehmen erhalten aber das Geld entsprechend dem geschaffenen Mehrwert zurück. Wer den Schadstoffausstoß senkt und mehr produziert, wird reicher. Der Staat belohnt damit Innovationskraft. So ähnlich stelle ich mir das bei der Energie vor: Wir sollten die Energie in kleinen Schritten verteuern und könnten das bei der Industrie kassierte Energiesteueraufkommen ungefähr entsprechend dem Mehrwert an die Unternehmen zurückgeben. Innovative Unternehmen stehen dann wirtschaftlich besser da als zuvor und die Gesamtwirtschaft wird immer effizienter. Gut für Arbeitsplätze und Umwelt.
Welche Branchen würde das betreffen?
Alle, in denen viel Energie zum Einsatz kommt – von Beleuchtung über Motoren bis zur Heiztechnik in Gebäuden. Dort gibt es schon technisch faszinierende Entwicklungen, die sich zu langsam durchsetzen, weil sie sich wirtschaftlich kaum lohnen. Ein gutes Beispiel ist das Passivhaus: Es verbraucht praktisch keine Energie mehr. Wir könnten alle 20 Millionen Häuser in Deutschland umrüsten, damit hätten wir unsere Klimapflichten fast schon erfüllt. Die Umrüstung findet nur langsam statt, weil Heizöl so billig ist, dass sie sich erst nach Jahrzehnten rechnet. Der günstige Heizölpreis ist klima- und innovationsschädlich.
Das bedeutet, wir verteuern die Energiepreise und alles wird gut?
Nein, das steigert nur die Motivation, Energie zu sparen. Außerdem macht es effizientere Technik wirtschaftlich. Wir müssen diese dann aber auch einsetzen. Ein Stichwort ist die Kreislaufwirtschaft. Sie hat zum Ziel, Rohstoffe über den Lebenszyklus einzelner Produkte hinaus zu nutzen. Dabei spielen Reparaturen und Wartungen eine entscheidende Rolle, weil sie Ressourcen schonen. Wir werfen nämlich viel zu viele Waren nach Gebrauch einfach weg: In den meisten Ländern kommen nur etwa zehn Prozent der Rohstoffe wirklich in die Neuproduktion zurück. Unternehmen können also einiges tun, wenn sie es mit dem Begriff Nachhaltigkeit ernst nehmen. Hier geht BITZER auf dem richtigen Weg voran: Der Spezialist für Kältemittelverdichter hat mit Green Point ein weltweit hervorragendes Service- und Wartungsnetzwerk aufgebaut.
Aber sind Neuprodukte im Betrieb nicht energieeffizienter?
Meistens ja. Es gibt immer eine Abwägung zwischen Innovation und Langlebigkeit. Es geht mir auch nicht darum, Dinosaurier künstlich am Leben zu erhalten. Aber wir können langlebige Komponenten so bauen, dass sie mit neuen Produktgenerationen kompatibel sind. Dann lassen sie sich in Neuprodukte einbauen.
Wir verschwenden Energie. Sie ist im Moment einfach zu billig. Wenn etwas billig ist, dann gehen wir achtlos damit um, weil uns der eigentliche Wert nicht mehr bewusst ist.
Wie lässt sich denn die Energieeffizienz in der Kältetechnik steigern?
Gut isolierte Häuser tragen wesentlich zur Gebäudeklimatisierung bei. Schließlich heizen sie sich im Sommer viel weniger auf und sind damit passiv klimatisiert. Aber es geht nicht nur um Passivhäuser. Grundsätzlich ist jeder Fortschritt zu begrüßen, der die Energieeffizienz steigert.
Richten wir den Blick nach vorne: Alle Aspekte von ressourcenschonender Produktion lassen sich unter den Begriff Umweltschutz subsumieren. Können wir denn prognostizieren, wie es weitergeht?
Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen. Es gibt jedoch den Erfahrungswert der Kuznets-Kurve nach dem Nobelpreisträger Simon Smith Kuznets: Länder fangen historisch arm und sauber an. Dann kommt die Industrialisierung und sie werden wohlhabend und schmutzig. Schließlich werden sie so reich, dass sie sich den teuren Umweltschutz leisten können – und dann sinkt die Umweltverschmutzung. Das lässt sich in Zukunft wohl auch auf die Ressourceneleganz übertragen.
Inwiefern?
Am Anfang geht man sparsam mit den wenigen Ressourcen um, dann kommen die große quantitative Ausdehnung und die Wegwerfgesellschaft. Irgendwann wachen wir auf und merken, dass das Unsinn ist. Dann beginnen wir, ressourceneffizienter zu wirtschaften. Das ist der Übergang zur Kreislaufwirtschaft.
Wo stehen wir heute in der Kuznets-Kurve?
In Deutschland sind wir über den Verschwendungsgipfel hinaus. Aber in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern sieht das anders aus. Dort dominiert noch die lokale Verschmutzung. Wenn wir die Klimaveränderung ernsthaft beschränken wollen, muss es sowohl bei uns als auch in Entwicklungsländern eine starke Beschleunigung in Richtung Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft geben. Politik und Medien reden sich immer mit sogenanntem Bedarf heraus.
Was meinen Sie mit sogenanntem Bedarf?
Energieverschwendungsbedarf ist für mich kein echter Bedarf. Erinnern Sie sich an die Viertelkilowattstunde und den Mount Everest. Wenn wir wirklich energieeffizient leben würden, von der Waschmaschine über den Verkehr bis zur Landwirtschaft, dann bräuchten wir vermutlich nur noch ein Viertel der heutigen Energie. Bei der Effizienzverbesserung kann auch Substitution eine Rolle spielen, etwa bei Fahr- und Flugzeugen der Ersatz von Metall durch Karbonfasern. Das senkt den Sprit- und Kerosinverbrauch.
Wenn die Gesellschaft etwas wirklich will, dann ist die Technik unglaublich schnell und effektiv darin, Lösungen anzubieten.
Sie fordern damit ein großes Umdenken in der Industrie ein. Was könnte diese motivieren, ihre Produktion nachhaltiger aufzustellen?
Die großen technologischen Trends der Vergangenheit waren stets gesellschaftlich getrieben. Wie beim Umweltschutz haben Techniker oftmals schon Ideen und Ansätze in der Schublade, die sie bis dato nicht verwirklichen konnten, weil das Thema in der öffentlichen Diskussion noch nicht wichtig genug schien. Es ist im Grunde eine triviale Feststellung, aber sie ist bedeutsam: Wenn die Gesellschaft etwas wirklich will, dann ist die Technik unglaublich schnell und effektiv darin, Lösungen anzubieten. Leider tut die Industrielobby manchmal so, als sei bereits alles ausgereizt, was technisch machbar ist. Das ist objektiv falsch.
Was genau macht das Thema Energieeffizienz aber jetzt so dringend?
Ich will Ihnen ein einfaches Zahlenbeispiel geben: Die Europäische Union will bis 2020 ihren Energiebedarf zu 20 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Das betrifft 500 Millionen Menschen. Wenn wir optimistisch annehmen, dass die anderen OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) das analog umsetzen, dann können wir mit weiteren 500 Millionen Personen rechnen. Wir sprechen also von einer Milliarde Menschen.
Das klingt doch sehr vielversprechend.
Ja, das tut es. Doch was ist das im Weltmaßstab tatsächlich wert? Eine Milliarde ist ein Siebtel von sieben Milliarden und 20 Prozent ist ein Fünftel von 100 Prozent. Will man, dass sieben Milliarden Menschen einen US-amerikanischen Energieverbrauch erreichen, müsste man also die erneuerbaren Energien um den Faktor 35 steigern. Bei Mais- oder Palmöl, bei Wasserkraft und selbst bei Windkraft wäre das allein schon ökologisch verrückt. Demgegenüber wäre es ungeheuer vernünftig, endlich den schlafenden Riesen Effizienz zu wecken.
Das sind globale Fragen, die nur Staaten oder überstaatliche Organisationen lösen können. Aber kann der Einzelne denn auch etwas beitragen?
Ja, selbstverständlich. Wir sollten unseren Lebensstil anpassen und aufhören, so viele Ressourcen zu verschwenden. Wenn wir funktionierende Handys nur alle vier Jahre durch ein neues ersetzen statt alle zwei, dann haben wir hier die Ressourceneffizienz ohne wesentliche Einbußen in unserer Lebensqualität verdoppelt. Oder die Beschleunigung Richtung Passivhaus. Oder ökologische Nahrungsmittel. Da kann jede Familie mitmachen.