Kältemittel in Europa: Die Zeit drängt

Die Wahl des richtigen Kältemittels zählt zu den wesentlichen Faktoren, ob Kälte-, Klima- und Wärmepumpensysteme effizient und umweltfreundlich sind. Außerdem ist die Wahl ausschlaggebend dafür, ob eine Leckage die Anlage in wenigen Jahren nutzlos macht.

Kältemittel in Europa: Interview mit Dr. Heinz Jürgensen

Dr. Heinz Jürgensen, Direktor für Anwendungstechnik und Sonderprojekte bei BITZER, erklärt im Interview, wie wichtig gerade jetzt die Wahl des richtigen Kältemittels ist und spricht über den Umgang mit natürlichen Kältemitteln.

Herr Jürgensen, welche Regularien zählen derzeit in Bezug auf Kältemittel in Europa zu den wichtigsten?

Dr. Heinz Jürgensen: In der EU ist das ganz klar die Revision der F-Gase-Verordnung 517/2014. Etwas später sind wir dann auch außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums vom Kigali Amendment des Montreal Protokolls betroffen, dem schon 139 Länder (Stand Oktober 2022) beigetreten sind. Noch im Entwurf befindet sich ein Vorschlag zur Begrenzung von PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) über die EU-REACH-Chemikalien-Verordnung.

Wie drängend und dringend sind diese Regularien?

Jürgensen: Die Revision der F-Gase-Verordnung geht in Kürze in den Trialog, also in die Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Europäischem Rat und Europäischer Kommission. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat erst kürzlich seine Stellungnahme zum Entwurf der Kommission abgegeben und wir erwarten demnächst die Stellungnahme des Europäischen Rates. Das Ende der Revisionsverhandlungen wird im zweiten Quartal 2023 erwartet. Die ersten einschneidenden Maßnahmen der Überarbeitung sollen dann bereits ab Januar 2024 gelten. Das ist früher, als nach dem Text der aktuellen Verordnung ursprünglich erwartet.

Wie trifft die  Revision der F-Gase-Verordnung Anwender?

Jürgensen: Der Entwurf der Kommission, der im April 2022 veröffentlicht wurde, will die zulässigen Emissionsmengen noch stärker senken. Hersteller und Betreiber können davon ausgehen, dass neues oder recyceltes Kältemittel für Wartungen und Reparaturen an bestehenden Kälteanlagen noch ein paar Jahre verfügbar sein werden. Für neue Anlagen können dann nur noch Kältemittel mit Treibhauseffekt (GWP) nahe Null eingesetzt werden, damit Bestandsanlagen noch mit den knappen und teuer werdenden fluorierten Stoffen, wie R454C, R455A oder R1234yf, immer weniger noch mit R513A, R450A, R448A oder R449A, gewartet werden können.

Ich möchte nochmal auf die oben erwähnte Stellungnahme des Umweltkomitees des Europäischen Parlaments zurückkommen. Dort heißt es, dass die Kältetechnik ab 2024 oder, je nach Anwendung, spätestens ab 2027 gar keine neu hergestellten fluorierten Stoffe mehr benötigt. Das ist nochmal eine wesentliche Verschärfung. Mit Blick auf die laufenden Verhandlungen ist es noch schwer abzuschätzen, was das Ergebnis sein wird. Nach bisherigen Umfragen sprechen sich viele EU-Staaten aber für eine Verschärfung der Verordnung aus. Die vorgeschlagenen Regelungen zu PFAS können noch einmal die Lösungsmöglichkeiten verringern, da sie viele fluorierte Kältemittel betreffen, auch die neueren ungesättigten Verbindungen mit niedrigem Treibhauspotenzial, wie R1234yf oder R1234ze. Gerade diese Stoffe sind bisher zur Reduzierung des Gesamttreibhauseffektes gedacht.

Die allermeisten Kälte- und Klimaanlagen sind nicht so konstruiert, dass sie sich langfristig auf verfügbare Kältemittel umstellen lassen.

Dr. Heinz Jürgensen

Wie viele Anlagen sind davon betroffen?

Jürgensen: Wir können von einer mindestens siebenstelligen Zahl an Kälte- und Klimaanlagen sowie Wärmepumpen in der EU ausgehen mit Leistungen von einzelnen kW bis in den MW-Bereich. Die allermeisten davon sind nicht so konstruiert, dass die sich auf langfristig verfügbare Kältemittel umstellen lassen.

Die F-Gase- Verordnung gilt nur auf EU-Basis. Und wie sieht es weltweit aus?

Jürgensen: Die umliegenden Länder, Staaten und Regionen beobachten gespannt, was in der EU vor sich geht und lernen dann hoffentlich daraus. Weltweit wird das Kigali Amendment des Montrealer Protokolls auch zur Reduzierung von Emissionen der fluorierten Treibhausgase führen. Die Stufenpläne sind gegenüber der EU-Verordnung jedoch etwas zeitversetzt. Viele Staaten haben bereits ihre entsprechenden Maßnahmenpläne erarbeitet.

Die wichtigsten Kältemittel-Regularien im Überblick

 

EU-F-Gase-Verordnung

Seit 2015 gilt die EU-Verordnung 517/2014 zur Regelung der Emission von fluorierten Treibhausgasen und beschreibt Anwendungsverbote für Stoffe, teilweise abhängig vom jeweiligen GWP-Wert.  Das Phase-Down-Szenario ist dabei das wesentliche Werkzeug, um die Gesamtemissionen fluorierter Treibhausgase zu reduzieren. Es handelt sich im eine gestufte Begrenzung der Gesamtemissionsmenge in Kohlendioxid-Äquivalenten, die von 2015 bis 2030 festgelegt wurde.

Im Jahr 2023 wird eine Revision der Verordnung erwartet. Der entsprechende Entwurf von April 2022 lässt eine deutlich erhöhte Zahl an Anwendungsverboten sowie verschärftere Grenzwerte für maximal zulässige Emissionsmengen erwarten. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt ist es deswegen wichtig, Kälteanlagen und Wärmepumpen mit Kältemitteln zu entwickeln und zu bauen, die langfristig sicher verfügbar sein werden.

Diagramm, Phase-Down-Stufen im Vergleich; Kältemittel in Europa
Vergleich der Phase-Down-Stufen in Prozent der Verordnung 517/2014 (in hellgrün), anfangend bei 100 Prozent im Jahr 2015, und dem Phase-Down des Entwurfes (in dunkelgrün) ab 2024. In hellgrau: Mengen in importierten Produkten, die in der Grundmenge nicht erfasst waren.

Montreal Protokoll Kigali Amendment

Das Montrealer Protokoll wurde 1987 verabschiedet und hat weltweit 197 Mitglieder. Es handelt sich um einen Vertrag, ozonzerstörende Substanzen einzudämmen. Das im Oktober 2016 in Kigali, Ruanda, beschlossene Amendment erweitert das Montrealer Protokoll hinsichtlich Regelungen zur Reduzierung von Emissionen fluorierter Treibhausgase. Dabei setzt es auf ein Phase-Down-Szenario nach dem Vorbild der EU-F-Gase-Verordnung, jedoch mit angepassten Stufen für vier verschiedene Gruppen von Mitgliedern und einer Zeitschiene bis mindestens 2050. Bisher haben 138 Mitglieder  (Stand: Oktober 2022) das Amendment ratifiziert. Jedes Mitglied wird in festgelegten Jahren einen 100%-Wert ermitteln sowie einen Maßnahmenplan zum Einhalten des Szenarios erstellen. Auf diese Weise werden ähnliche Kältemittelumstellungen wie in der EU weltweit durchgeführt werden.

Diagramm Phase-Down-Szenario fluorierter Treibhausgase; Kältemittel in Europa
Phase-Down-Stufen in Prozent für fluorierte Treibhausgase des Montrealer Protokolls (MP) für vier Ländergruppen – Standard-Mitglied.

European Green Deal

Der European Green Deal soll die Europäische Union deutlich umweltfreundlicher machen. Ein Teil des Ziels ist es, ab dem Jahr 2050 netto null Kohlendioxidemissionen zu erzeugen. Ein Zwischenziel ist, die Emission bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Der Beitrag der Wärmepumpe und Wärmerückgewinnung kann hier groß sein, denn geringere Kohlendioxidemissionen sind nur möglich, wenn deutlich weniger fossile Brennstoffe verbrannt werden, um Wärme bereit zu stellen. Für den weitaus größten Teil der Heizaufgaben eignen sich Wärmepumpen sehr gut. Werden diese mit elektrischer Energie aus erneuerbaren Quellen betrieben, fallen keine Emissionen aus dem Betrieb an. Bei Wärmerückgewinnung aus Kälteanlagen oder Einsatz von Industriewärmepumpen, um Prozessabwärme wieder nutzbar zu machen, ist die Öko-Bilanz schwierig sauber und glaubwürdig darstellbar. Die Technologie wird manche Anlagen komplexer machen, ist aber ebenso wichtig für die Ziele des Green Deal.

Kältemittel in Europa: Alles auf einen Blick

BITZER unterstützt seine Kunden auf dem Weg zum richtigen Kältemittel mit vielfältigen Produktlösungen, dem Kältemittel-Report sowie digitalen Services und Schulungen.

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